Die Botschaft der Windenergie-Experten an die künftige Bundesregierung war eindeutig: „Macht nicht alles kaputt, nachdem wir so weit gekommen sind“, mahnte Prof. Dr. Holger Lange, Leiter des Studiengangs Wind an der Hochschule Bremerhaven, die Politiker. Und Prof. Dr. Andreas Reuter, Chef des Fraunhofer-Instituts IWES, forderte sie auf: „Macht endlich eure Hausaufgaben, damit die Windkraft eine Zukunft hat.“ Die Appelle waren das einmütige Fazit beim 9. Windgipfel, zu dem der Presseklub Bremerhaven-Unterweser Fachleute zur Talkrunde in die Hochschule geladen hatte.
Ihr Unmut galt der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), mit der das Bundeskabinett 2014 den weiteren Ausbau der Offshore-Windkraft bremste. Die negativen Auswirkungen der Bundespolitik, so stellten der Windgipfel-Gäste auf dem Podium fest, sind nicht zuletzt auch in Bremerhaven unübersehbar. Nach einem vielversprechenden Boom, bei dem rund 20 000 Arbeitsplätze entstanden, musste die Branche gravierende Einschnitte verkraften. Zunächst durch die Strompreisbremse des ehemaligen Bundesumweltministers Altmaier und dann durch das neue EEG-Gesetz.
Die Folgen für die Seestadt brachte Presseklub-Moderatorin Heike Winkler auf den Punkt: „Konkurse, Entlassungen, Negativschlagzeilen.“ Wie angespannt die Lage ist, bestätigte der Vertriebsleiter Europa des Anlagenherstellers Senvion, Jochen Magerfleisch. Die Frage, ob die Zeiten schwer seien, beantwortete er lakonisch: „Schon mittendrin.“ Die Nachfrage sei rapide eingebrochen, der „extrem hohe Wettbewerbsdruck“ bei der Produktion von Windrad-Turbinen habe alle Unternehmen getroffen. Magerfleisch: „Die Preise sind an der Unterkante des Überlebens.“ Um sich für bessere Zeiten zu rüsten, habe Senvion damit begonnen, die Kosten zu senken und „schlanker zu werden“.
Mehr Tempo beim Ausbau der Stromnetze nötig
Mit dem Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, Andreas Wagner, war sich der Senvion-Manager einig, dass die Politik die Rahmenbedingungen für Offshore so schnell wie möglich verbessern müsse. „Wir brauchen langfristig Sicherheit für den Bau neuer Anlagen“, sagte Magerfleisch. „Denn es hat keinen Sinn, Ruinen zu schaffen.“ Wagner erwartet von der künftigen Bundesregierung zudem mehr Tempo beim Ausbau der Netze, die für den Stromtransport an Land unerlässlich seien.
Im Gespräch mit der Presseklub-Vorsitzenden Anke Breitlauch bekräftigte der Bezirksleiter der IG Mertall, Meinhard Geiken, die Forderungen des „Cuxhavener Appells“ vom 11. September dieses Jahres. Darin hatte der Gewerkschafter gemeinsam mit den norddeutschen Wirtschaftsministern und Branchenvertretern eine „politische Wende“ zur Sicherung der Zukunftstechnologie und der Arbeitsplätze verlangt. Wichtigste Forderung: Der 2014 eingeführte Deckel einer Offshore-Gesamtleistung von 15 Gigawatt bis 2030 müsse aufgehoben werden. Bis zu diesem Zeitpunkt würden in Nord-und Ostsee mindestens 20 Gigawatt, bis 2035 sogar 30 Gigawatt benötigt. „Diese Ausbauziele“, so der IG-Metall-Bezirksleiter, „sind kein Selbstzweck, denn wir brauchen sie für die Energiewende, um den Klimawandel zu stoppen.“
Dass es trotz aller Probleme in der Branche durchaus auch verhaltenen Optimismus gibt, machte Dr. Ralf Hubo deutlich. Der Geschäftsführer des Nordenhamer Stahlproduzenten Steelwind, der am Weserufer in Blexen die weltweit größten Mega-Monopile-Fundamente für Offshore-Windräder baut, verwies auf eine erfolgreiche Unternehmensbilanz. Mit den fast 1000 Tonnen schweren und 7,80 Meter dicken Riesenröhren habe Steelwind „auf das richtige Pferd gesetzt“. Inzwischen hätten fast 100 Monopiles das neue Werk verlassen. Mit 300 Mitarbeitern und weiteren 100 bei Zulieferfirmen sei es derzeit voll ausgelastet. Dennoch erwartet auch Hubo „in den nächsten Jahren schwere See“.
Das größte Windrad der Welt, das seit Frühjahr auf dem ehemaligen Flughafen Luneort steht, geht demnächst in den Regeltestbetrieb. Das kündigte der Leiter des Bremerhavener Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), Prof. Dr. Andreas Reuter, beim 9. Windgipfel des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser an.
Der riesige 8-Megawatt-Prototyp wird von den Fraunhofer-Spezialisten umfassend getestet und an das Prüfsystem des Instituts angeschlossen. Mit 115 Metern bis zur Gondel und rund 200 Metern bis zur Rotorspitze ist das Windrad mit Abstand die höchste Landmarke an der Nordseeküste. Reuter: „Da wird der Vergleich mit dem Sail-City-Hotel zum Zwergenaufstand.“
Der IWES-Chef bezweifelt allerdings, dass künftige Windenergieanlagen und Rotorblätter noch viel größer werden können. „Das Gewicht der Windräder nimmt bei wachsender Höhe überproportional zu, und irgendwann kommen wir dann an Grenzen des Materials und der Sicherheit.“ Die sieht er für die Rotoren bei 130 bis 140 Metern. Die drei Flügel der Testanlage auf Luneort sind 88 Meter lang. (wm)