Die Situation ist paradox: Mehr als drei Viertel der Fischbestände in den Weltmeeren sind überfischt – eine große Chance für die Aquakultur, die von der Fischindustrie genutzt werden sollte. Dennoch hat die Fischzucht an Land in Europa noch zu wenig Bedeutung. Über Ursachen und Folgen diskutierte eine fachkundige Runde beim Fischgipfel, der Traditionsveranstaltung des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser im Fischbahnhof.
Während der Absatz der Aquakultur weltweit jährlich um zehn Prozent steigt, gibt es in Deutschland nach wie vor Akzeptanzprobleme. „Die Hürden sind bei uns sehr hoch“, sagte Prof. Dr. Bela Buck, Meeresbiologe beim Alfred-Wegener-Institut (AWI), im Gespräch mit Presseklub-Moderator Werner Prill. Die Gründe, so der AWI-Wissenschaftler und Experte für Fischaufzucht: „Aquakultur in geschlossenen Kreislaufsystemen ist eine gute Technologie, doch sie wird oft schlecht geredet.“ Im Bewusstsein der Verbraucher sei sie noch längst nicht ausreichend verankert.
Außerhalb Europas spiele die Fischzucht eine weitaus größere Rolle, wie Dr. Reinhold Hanel vom Hamburger Thünen-Institut bestätigte. Für Asiaten sei es eine Selbstverständlichkeit, den täglichen Proteinbedarf mit Fisch und Meeresfrüchten aus der Aquakultur zu decken. In Deutschland habe sie dagegen ein Imageproblem, bedauerte Hanel, dessen Dienstsitz bald Bremerhaven sein wird: Die Thünen-Fachinstitute für Seefischerei und für Fischereiökologie ziehen im Frühjahr 2018 von der Elbe an die Wesermündung – in einen Neubau im Fischereihafen.
Bei der Nordsee GmbH gehören Fischprodukte aus Aquakultur „auf jeden Fall zur Angebotspalette“, wie Qualitätsmanager Dietmar Hoffmann versicherte. Aus seiner Sicht wäre es ein sträfliches Versäumnis, keinen Lachs aus Fischzucht im Sortiment zu haben. Und auch der Geschäftsführer von Fiedlers Dreistern-Räucherei, Heiko Frisch, zeigte sich überzeugt, dass die Branche weiter auf Aquakultur setzen müsse: „Ohne sie wird es nicht gehen.“
Die Vorbehalte bei manchen Konsumenten könnten allerdings durch einen Greenpeace-Test verstärkt werden. Die Umweltorganisation hatte die Belastung von Lachsprodukten durch das Pflanzenschutzmittel Ethoxyquin nachgewiesen, das Fischmehl haltbarer machen soll. „Eine durchaus alarmierende Darstellung“, räumte AWI-Wissenschaftler Buck ein, während Nordsee-Manager Hoffmann die Aussagekraft der Greenpeace-Untersuchung bezweifelte: „Da werden Äpfel mit Birnen verglichen.“
Dass die Verbraucher verunsichert seien, führten die Experten auch auf die verwirrende Vielzahl von Gütesiegeln für Fischprodukte zurück. „Wir siegeln uns zu Tode“, befürchtete Dreistern-Geschäftsführer Frisch, während Buck von einem „Dschungel der unterschiedlichen Logos“ sprach, der durchforstet werden müsse. Vor diesem Hintergrund machte sich Dr. Bert Wecker vom Bundesverband Aquakultur für das Qualitätssiegel „Made in Germany“ stark: „Wir müssen die Verbraucher davon überzeugen, dass das einheimische Produkt besser ist als die Ware, die von weither importiert werden muss.“
Der Standort Fischereihafen ist ausgebucht
Wir sind ausgebucht“ – auf diesen kurzen Nenner brachte die Geschäftsführerin der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft (FBG), Petra Neykov, die aktuelle Situation im größten Gewerbegebiet Bremerhavens. Im Gespräch mit der Presseklub-Vorsitzenden Anke Breitlauch zog die FBG-Chefin eine rundum positive Bilanz des vergangenen Jahres: „Der Fischereihafen ist gut aufgestellt.“
Zur weitgehenden Auslastung tragen sowohl die Wirtschaft als auch die Wissenschaft bei. Zwei Betriebe der Fischindustrie wollen sich laut Neykov um 8000 Quadratmeter vergrößern. Für die ehemalige Weserwind-Halle zeichne sich zudem eine neue Nutzung durch ein Kühlhausunternehmen ab.
Die Bedeutung des Fischereihafens als Forschungsstandort wird durch zwei international renommierte Einrichtungen gestärkt: Das Thünen-Institut zieht mit den Bereichen Seefischerei und Fischökologie in seinen Bremerhavener Neubau, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gründet in der Seestadt ein Institut für maritime Sicherheit. Darüber hinaus tragen sich auch das Alfred-Wegener-Institut und das Deutsche Schiffahrtsmuseum, das im Fischereihafen sein Magazin unterbringen will, mit Erweiterungsplänen.